Informationen zum Steuerrecht

17.09.2021: AMS-Frühwarnsystem – Einvernehmliche Auflösungen auch während Wartefrist wirksam!

Das sogenannte „AMS-Frühwarnsystem“, das Beschränkungen für den Arbeitgeber im Falle von (nach österreichischer Terminologie) „Massenkündigungen“ vorsieht, genießt vor allem in wirtschaftlichen Krisenzeiten erhöhte Aufmerksamkeit. Dementsprechend ist es nicht verwunderlich, dass der Oberste Gerichtshof (OGH) in diesem Zusammenhang nun einen Sachverhalt zu beurteilen hatte, der sich in Tirol Mitte März 2020, zugetragen hat. Der OGH hat die lange umstrittene Frage der Wirksamkeit von einvernehmlichen Auflösungen während der auf die AMS-Meldung folgenden Wartefrist geklärt. Lesen Sie mehr…

Auslösung und Wirkung des Frühwarnsystems

Das Arbeitsmarktförderungsgesetz (AMFG) verpflichtet Arbeitgeber, das AMS schriftlich zu verständigen, wenn innerhalb eines Zeitraums von 30 Tagen die Auflösung einer bestimmten Anzahl von Arbeitsverhältnissen beabsichtigt ist. Die Anzeige ist mindestens 30 Tage vor der ersten Erklärung der Auflösung eines Arbeitsverhältnisses zu erstatten.

Dabei sind Kündigungen unwirksam, die vor Einlagen der Anzeige beim AMS oder nach Einlagen, aber vor Ablauf der sogenannten Wartefrist (zumeist 30 Tage) ausgesprochen werden. Das AMS kann jedoch aus wichtigen wirtschaftlichen Gründen den Ausspruch von Kündigungen schon vor Ende der Wartefrist genehmigen.

Einvernehmliche Auflösung während der Wartefrist

Eine solche Verkürzung der Wartefrist wurde dem beklagten Arbeitgeber im gegenständlichen Fall angesichts der pandemiebedingten Verwerfungen auch gewährt. Allerdings hatte der Arbeitgeber zwischen der Verständigung des AMS am 12.03.2020 und der Genehmigung des Ausspruchs von Kündigungen ab 21.03.2020 mit der nun klagenden Arbeitnehmerin eine einvernehmliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses zum 14.03.2020 vereinbart.

Die Arbeitnehmerin bezog im Verfahren den Standpunkt, dass diese Auflösung des Arbeitsverhältnisses, weil vor der Genehmigung durch das AMS abgeschlossen, unwirksam sei. Sie machte daher das Entgelt bis zum vereinbarten Befristungsablauf am 06.05.2020 geltend. Der OGH folgte diesem Argument nicht und sah die einvernehmliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses mit 14.03.2020 als wirksam an.

Entscheidung überzeugt in Begründung und Ergebnis

Nach dem Wortlaut des Arbeitsmarktförderungsgesetzes wird die dort normierte Verständigungspflicht ausgelöst, wenn die „Auflösung“ (nicht: Kündigung) einer bestimmten Anzahl von Arbeitsverhältnissen beabsichtigt ist. Dementsprechend sind nach ständiger Rechtsprechung nicht nur Kündigungen, sondern auch einvernehmliche Auflösungen auf die zahlenmäßigen Schwellenwerte anzurechnen. Diese Rechtslage entspricht den Ausführungen in den Materialien und den Vorgaben der Massenentlassungsrichtlinie, auf der (und auf deren Vorgängerrichtlinie) das Frühwarnsystem beruht.

Das Arbeitsmarktförderungsgesetz verwendet im § 45a Abs. 5 AMFG hingegen den Begriff „Kündigungen“, nicht den weiter gefassten Begriff „Auflösungen“. In der Literatur wird teilweise dennoch die Ansicht vertreten, dass einvernehmliche Auflösungen in der Wartefrist ebenso unwirksam seien. Aufgrund des klaren Wortlautes des Gesetzes kann eine Einbeziehung von einvernehmlichen Auflösungen, wie vom OGH zutreffend festgehalten, letztendlich lediglich durch eine allenfalls vorzunehmende richtlinienkonforme Auslegung erzielt werden.

Das österreichische Frühwarnsystem beruht auf EU-Richtlinien. Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH ist das nationale Recht „richtlinienkonform“ auszulegen, d.h. so weit wie möglich am Wortlaut und Zweck der Richtlinie ausgerichtet, um das mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen.

Die Massenentlassungsrichtlinie stellt zunächst - naturgemäß - auf „Entlassungen“ ab, ohne diesen Begriff näher zu definieren. Der EuGH hat festgehalten, dass dieser Begriff autonom auszulegen ist und von ihm jede vom Arbeitnehmer nicht gewollte, also ohne seine Zustimmung erfolgte Beendigung des Arbeitsvertrags umfasst ist, nach österreichischem Verständnis somit insbesondere auch Arbeitgeberkündigungen.

Eine einvernehmliche Auflösung bedarf selbstverständlich der Zustimmung des Arbeitnehmers, weshalb sie den Entlassungsbegriff der Massenentlassungsrichtlinie nicht erfüllen kann. Allerdings sieht die Massenentlassungsrichtlinie vor, dass für die Berechnung der Zahl der Entlassungen (d.h. für die Frage, ob die Schwellenwerte für Massenentlassungen überschritten werden) Beendigungen des Arbeitsvertrags gleichgestellt sind, die auf Veranlassung des Arbeitgebers und aus einem oder mehreren Gründen, die nicht in der Person der Arbeitnehmer liegen, erfolgen. Eine Gleichstellung von Entlassungen und einvernehmlichen Auflösungen (sofern sie auf Initiative des Arbeitgebers abgeschlossen werden) erfolgt somit ausschließlich für die Schwellenwertberechnung. Daraus folgt, dass auch die Sanktion bei der Verletzung der Wartefrist gemäß Massenentlassungsrichtlinie schon nach dem Richtlinienwortlaut auf einvernehmliche Auflösungen nicht anzuwenden ist (die Richtlinie sieht zudem nicht die Unwirksamkeit, sondern eine Aufschiebung der Wirksamkeit für die Dauer der Wartefrist vor).

Diese Differenzierung ist - auch aus der Perspektive der betroffenen Arbeitnehmer - durchaus sachgerecht. Arbeitnehmer müssen einer einvernehmlichen Auflösung zustimmen. Mit Blick auf die Unwirksamkeitssanktion des Artikel 4 Abs. 1 Massenentlassungsrichtlinie bzw. § 45a Abs. 5 AMFG sind sie in diesem Fall daher weniger schutzbedürftig: Sie haben es in der Hand, die einvernehmliche Auflösung abzulehnen; in diesem Fall kommen sie in den „Genuss“ der Wartefrist, das Arbeitsverhältnis verlängert sich entsprechend. Stimmen sie der einvernehmlichen Auflösung zu, kann dies verschiedene Gründe haben (bspw. eine vom Arbeitgeber gewährte freiwillige Abfertigung, ein alternatives Jobangebot, etc.). Jedenfalls ist die einvernehmliche Auflösung - mag die Initiative auch vom Arbeitgeber ausgehen - vom Willen des Arbeitnehmers mitgetragen. Die Unwirksamkeitssanktion kann hier geradezu kontraproduktiv sein (etwa wenn der Arbeitnehmer dadurch einen alternativen Arbeitsplatz nicht antreten kann). Die Differenzierung zwischen einseitigen Willenserklärungen (Kündigungen) einerseits und einvernehmlichen Auflösungen andererseits ist daher sachgerecht und sinnvoll.

Die Differenzierung in Bezug auf die (Un-)Wirksamkeit von Kündigungen und einvernehmlichen Auflösungen während der Wartefrist des § 45a AMFG entspricht den Vorgaben der Massenentlassungsrichtlinie. Weder eine richtlinienkonforme Interpretation noch andere Gründe gebieten es daher, vom ausdrücklichen Wortlaut des § 45a AMFG abzugehen.

Fazit

Der OGH hat zutreffend festgehalten, dass einvernehmliche Auflösungen während der Wartefrist des § 45a AMFG wirksam sind. Die diesbezügliche Differenzierung zwischen Kündigungen und einvernehmlichen Auflösungen ist sachgerecht und bereits in der Massenentlassungsrichtlinie vorgesehen.

Für Arbeitgeber ist von maßgeblicher Bedeutung, die Unterscheidung zwischen „Verständigungspflicht“ und „Unwirksamkeitssanktion“ der genannten Bestimmung zu beherzigen. Für den Schwellenwert im erstgenannten Fall sind einvernehmliche Auflösungen weiterhin maßgeblich; wird die Verständigungspflicht irrtümlich nicht beachtet, kann dies zu einer erheblichen Verzögerung von Personalmaßnahmen und einer entsprechenden Kostenbelastung führen.

 

Quelle bzw. weiterführende Informationen finden Sie unter:

LexisNexis, RdW – Österreichisches Recht der Wirtschaft, RdW 2021/508, Heft 9 vom 15.09.2021

https://360.lexisnexis.at/d/u_zivil_OGH_2021_JJT_20210624_OGH0002_0_ddd044d2c6

 

Obige Ausführungen stellen allgemeine Informationen zum Thema des jeweiligen Newsletters dar (Ausführungen ohne Gewähr) und können deshalb ein persönliches Beratungsgespräch keinesfalls ersetzen. Zögern Sie deswegen nicht uns bei Fragen oder Unklarheiten zu kontaktieren! Ihr Team der Steuerberatung Illmer und Partner – Die kompetente Beratung in Landeck.

Stand: 10.09.2021

Artikel der Ausgabe Sommer 2021